Einen Moment freue ich mich dass ich trotz starken Kopfschmerzen und Übelkeit schon drei Tassen Tee trinken konnte. Wenige Sekunden später stelle ich die Tasse panisch ab und versuchen mich soweit wie möglich vom Camp zu entfernen. Die Übelkeit erreicht einen Punkt bei dem es besser ist alleine zu sein.
War der Plan einen 6000er ohne große Beschwerden zu besteigen und mit dem Einrad abzufahren gescheitert? Wenige Tage vorher haben wir noch über den Wetterbericht mit gefühlten -35° gelacht und waren uns sicher dass wir selbst den größten Vulkan der Erde, den Ojos del Salado versuchen können. Wieder mussten wir merken dass der Spruch „bis 30 lernt man nur durch Schmerz“ manchmal einen wahren Kern hat.
Egal. Für die Expedition zum Passo San Fransisco in der Atacama Wüste haben wir 10 Tage Zeit. Unser Jeep ist mit über 100 Litern Wassern, ordentlich Diesel und sehr viel Essen beladen. Von 0 auf 4400m in 24 Stunden ist eine schlechte Idee aber wir haben noch genug Zeit um wieder runterzufahren, gesund zu werden und es die nächsten 8 Tage langsamer angehen zu lassen.
Wir, das sind Giulia Tessari, meine Freundin, Tobias Kleckl, ein Freund der gerade für ein Jahr in Chile lebt und ich, Lutz Eichholz Profi Sportler und immer bereit für Reisen in bergige Regionen. Nahe Copiapo schlafen wir eine Nacht auf fast 0m, erholen uns und fahren am nächsten Tag wieder hoch.
Versuch Nr. 2. Diesmal verbringen wir etwas Zeit auf 3300m. Die Landschaft ist schon hier sehr so fremd das einfach nur schauen schon Beschäftigung genug ist. Ein kleiner Bach läuft an der fast gänzlich unbefahrenen Schotter Straße. Sein Wasser hinterlässt überall Mineralablagerungen von der Minen Industrie. Zusammen mit der seltsamen, buschigen Vegetation zeigt es uns deutlich dass wir nicht mehr in Europa sind.Ich nutze den Nachmittag um einen der zahlreichen kleineren Berge Hochzulaufen und eine erste Abfahrt im steilen rutschigen Gestein zu wagen.
Nach einer erholsamen Nacht reisen wir weiter hinauf. Auf 3800m an der Laguna Santa Rosa wollen wir uns weiter akklimatisieren. Auch hier beeindruckt uns die Landschaft. Pflanzen gibt es kaum noch. Dafür hat sich eine beträchtliche Anzahl von Flamingos nahe unseres Lagerplatzes niedergelassen. Wir sind erstaunt dass sie auf der von Salz durchzogenen Hoch Ebene überleben können. Der 100km entfernte und 6700m hohe Cerro Tres Cruces lässt uns erahnen wie unsere nächsten Ziele aussehen werden. Wir sind froh das erstmal nur Landschaft genießen und an die Höhe gewöhnen den Tag genug füllt.
Am nächsten Morgen fühlen Giulia und ich uns trotz der Höhe sehr fit. Tobi hat noch etwas mit der Erholung vom ersten Versuch zu kämpfen. Ohne Ihn machen wir eine erste Akklisimations Tour zu einen der vielen Gipfel. Nachdem wir statt drei, sechs Stunden für die Tour brauchen merken wir das Entfernungen hier in der Wüste schwer einzuschätzen sind.
Tobi erzählt uns das er während wir unterwegs waren einen Guide getroffen hat, der ihm erklärt das unsere Tour knapp 1000hm hatte. Das erklärt meine Kopfschmerzen. Trotzdem sind wir stolz die 5000m Marke schon knapp erreicht zu haben. Mit dem wenigen noch vorhanden Frischen Gemüsen und ordentlich Pasta wollen wir unsere Kräfte regenerieren.
Irgendwer muss wohl gehört das wir ein Abenteuer wollen. Beim Starten des Kochers merken wir das er undicht ist. Fast eine Stunde versuchen wir ihn zu reparieren bis wir aufgeben müssen. Wir haben hier oben nicht die passenden Ersatzteile.
Viele Optionen gibt es nicht. Selbst Tagsüber ist es selten über 0° und nachts friert uns alles Wasser ein. Ohne Kocher können wir nicht bleiben. Um 21 Uhr fahren wir die 250km zurück nach Copiapo. Die Stimmung ist schlecht und wir sind froh als wir in der Nacht endlich kurz vor der Stadt ein Nachtlager finden.
Am Morgen entscheidet der immer noch angeschlagene Tobi zurück nach Santiago zu reisen. Wir können gut verstehen dass er genug von defekten Teilen und Körperlichen Beschwerden hat, wollen es aber nochmal probieren.
Mit einem neu gekauften Kocher geht es los. Versuch Nummer 3. Das schon nach 100 von 280km Schotter ein Reifen platzt hält uns nur kurz auf. Wir haben ja noch einen Ersatzreifen und der wird schon halten. 20km später können wir es nicht fassen. 4 Tage lang kein Problem mit dem Auto und jetzt zwei Platten? Handy Netz gibt es erst viele Autostunden entfernt. Wir müssen warten bis irgendwer vorbeikommt. Nach 6 Stunden haben wir Glück. Direkt der erste vorbeifahrende versteht unser Problem und gibt uns seinen 2. Ersatzreifen. Wieder geht es in die Stadt. Diesmal Reifen statt Kocher Shoppen.
Versuch Nr. 4. Gipfelambitionen haben wir kaum. Jetzt geht es primär darum endlich Gesund am Pass anzukommen und zumindest zum Fuß unserer Berge zu fahren. Wenn schon kein Gipfel will ich wenigstens ein paar schöne Linien fahren.
Diesmal läuft es gut. Wir genießen die Einsamkeit. Auf über 300km Straße treffen wir nicht ein anderes Auto. Wir halten immer wieder an um die Mond ähnliche Landschaft ab 4000m zu genießen. Neben der Straße ragt spitzer Büßerschnee hinauf. Die vielen vorbeiziehenden Gipfel lassen uns von Besteigungen Träumen und selbst ein Aufziehender Sturm macht uns wenig Sorgen.
Nach 12 Stunden sind wir ganz oben an der Laguna Verde auf 4400m. Wir Kochen im kleinen Refugio das wir ganz für uns haben. Nach dem Essen gibt es einen unwirklich schönen Sonnenuntergang als Nachtisch. Die Nacht ist diesmal ganz anders. Keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit und dank reparierter Isomatten frieren wir nicht einmal.
Voller Tatendrang beschließen wir am nächsten Morgen die letzten zwei Tage bevor wir unserem Jeep zurückgeben müssen möglichst gut zu nutzen. Wir trinken Kaffee vor der Hütte und selbst die Kälte kann uns nur schwer von dem Anblick der Laguna Losreisen. Salziges, Tiefblaues Wasser eingerahmt in immer wieder Schnee bedeckte 6000m Berge.
Als wir das Auto starten wollen kommt der nächste Schock. Der Motor springt nicht an. Mittlerweile haben wir gelernt alles mit Humor zu nehmen. Wir denken dass unser Diesel noch zu kalt ist und beschließen zu warten bis die Sonne den Motor wärmt. In der Zwischenzeit finde ich eine perfekte Line. Wir freuen uns dass wir uns gut genug Akklimatisiert haben um Spaß am Fahren und Filmen zu haben und verdrängen das Auto Problem erst einmal.
Mittlerweile hat die Sonne das Auto erreicht und wir versuchen wieder zu starten. Nichts geht und wieder heißt es auf Hilfe warten. Diesmal kommt sie fast sofort, ein nettes Touristen Pärchen erreicht die Laguna und gibt uns ohne zu zögern ihren Jeep. Wir fahren zu einem nur ca. 30km entfernten Grenzstützpunkt, der gerade erst wieder besetzt wurde, um nach Hilfe zu fragen.
Die dort stationierten Carabineros geben uns Tee und ein Startkabel. Sofort fahren zurück zu unserem kaputten Auto und versuchen den Motor noch einmal ankriegen. Nach einigen Versuchen geht es. Erleichterung erfasst uns, aber schnell wird klar dass unser Abenteuer am Passo San Fransisco vorbei ist. Den Motor werden wir nicht mehr oft starten können und so fahren wir mit einem kurz Stopp an einem schnell erklommenen „trost“ Gipfel in einem Zug zurück in die Zivilisation.
Sind wir gescheitert? Rückblickend waren für mich die 3 letzten Tage am Pass die schönsten. Die Gewissheit das große Ziel, den 6000m Gipfel nicht mehr erreicht werden kann gab mir die Möglichkeit kleinere Ziele zu fokussieren. Statt den fahrbarsten Weg von ganz oben zu suchen fand ich viele Hindernisse die ich normalerweise übersehen hätte.
Den Rest des Trips gehe ich entspannter an. Wir geben unseren Jeep in Copiapo ab und mieten ein kleineres Auto. Unterwegs gen Norden nach San Pedro de Atacama versuchen wir jeden Moment zu genießen. Egal ob wir in einer fast nur von Mineros bewohnten Stadt sind oder einen einsamen Strand genießen. Auch sportlich versuche ich jede Linie, jede Abfahrt die mich begeistert mitzunehmen.
Durch das Scheitern am Gipfel ist uns klar geworden dass man bei einer zu starken Fokussierung auf ein Ziel den Überblick verliert. Die vielen perfekten Lines die ich in der Atacama gefunden habe hätte ich ohne die vielen Probleme übersehen und hätte niemals fahrtechnisch meine Grenzen soweit strecken können. Wir haben viel Erfahrung gesammelt und unglaubliche Augenblicke für immer in unseren Kopf gespeichert. Ein hoher Gipfel ist diesmal nicht mehr wichtig und wir freuen uns über die schöne Zeit.